Sea-Watch 4 willkürlich festgesetzt: Die Kriminalisierung ziviler Seenotrettung erreicht einen neuen Höhepunkt
Palermo/Berlin, 20. September 2020.
Die italienischen Behörden haben nach einer Hafenstaatskontrolle in der Nacht auf Sonntag das Rettungsschiff “Sea-Watch 4 powered by United4Rescue” festgesetzt. Sea-Watch, United4Rescue und Ärzte ohne Grenzen verurteilen die Festsetzung aufs Schärfste und fordern die sofortige Beendigung der Kriminalisierung ziviler Seenotrettung.
“Die fadenscheinigen Begründungen zeigen erneut, dass es sich nicht um die Überprüfung der Schiffssicherheit handelt, sondern um eine gezielte Verhinderung ziviler Seenotrettung im zentralen Mittelmeer. Obwohl die zuständigen Behörden uns aufgefordert haben, bei Rettungen zu assistieren, blockieren sie nun ein weiteres Schiff. Diese widersprüchliche Logik zeigt erneut, dass die italienischen Behörden keinerlei Skrupel haben, Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen und setzt ein klares Zeichen: Seenotrettungsoperationen sollen verhindert werden, damit kein Mensch die europäische Küste lebendig erreicht”, so Philipp Hahn, Einsatzleiter auf der Sea-Watch 4.
Im Rahmen der Kontrolle suchten italienische Inspekteure elf Stunden lang nach Beanstandungen, aufgrund derer sie die Sea-Watch 4 dann festsetzten. Der Hauptvorwurf lautet, die Rettung von Menschenleben entspreche nicht der Registrierung des Schiffes. Die Sea-Watch 4 habe zu viele Rettungswesten an Bord, das Abwassersystem sei nicht für die Anzahl der geretteten Personen ausgelegt. Dass Seenotrettung als akute Nothilfe für alle Schiffe verpflichtend ist, wird außer Acht gelassen. Tatsächlich erfüllt das Schiff alle Sicherheitsvorgaben des deutschen Flaggenstaates, wie die deutschen Behörden Sea-Watch erst im Juli bestätigt haben. Mit der Sea-Watch 4 wird zum fünften Mal ein ziviles Rettungsschiff an der Rückkehr in den Einsatz gehindert. Diese Inspektionen sind politisch motiviert und dienen allein dem Zweck, Rettungsoperationen zu verhindern. Nach ihren ersten Rettungseinsätzen im August wartete die Sea-Watch 4 mit 353 Menschen an Bord tagelang auf die Zuweisung eines sicheren Hafens, bevor die Überlebenden am 2. September an die Quarantänefähre GNV Allegra übergeben wurden. Die Crew der Sea-Watch 4 absolvierte dann eine zweiwöchige Quarantäne vor dem Hafen von Palermo.
„Die Verletzungen, die wir an Bord behandelt haben, zeigen die Gewalt und die Gefahren, denen die Geretteten auf der Flucht entkommen sind“, sagt Barbara Deck, Leiterin des medizinischen Teams von Ärzte ohne Grenzen auf der Sea-Watch 4. „Wir haben einen Jungen behandelt, der von Bewaffneten auf den Kopf geschlagen wurde und in der Folge taub geworden ist, und einen Vater, der die Spuren von geschmolzenem Plastik auf seiner Haut trug. Was diese Menschen ertragen, macht sprachlos. Vor diesem Hintergrund ist es erschütternd, dass europäische Regierungen alles tun, um uns daran zu hindern, lebensrettende Hilfe zu leisten.“
Nachdem bereits die Sea-Watch 3 sowie weitere zivile Rettungsschiffe nach fragwürdigen Hafenstaatskontrollen mit fadenscheinigen Begründungen am Auslaufen gehindert wurden, wurde nun auch das Aufklärungsflugzeug Moonbird von Sea-Watch durch die italienischen Behörden festgesetzt. Somit verhindern die italienischen Behörden gezielt, dass die gravierenden Menschenrechtsverletzungen an der tödlichsten Seegrenze der Welt dokumentiert werden. Niemand soll das Sterben auf dem Mittelmeer mehr bezeugen können.
Mit der Festsetzung der Sea-Watch 4 erreicht diese Kriminalisierung ziviler Seenotrettung einen weiteren Höhepunkt: Dieses Ereignis zeigt erneut, dass europäische Staaten vor nichts zurückschrecken, um die Rettung von Menschenleben zu verhindern. Menschen, die im zentralen Mittelmeer sterben, sind das Ergebnis der europäischen Abschottungspolitik und der willkürlichen Blockade von zivilen Akteur*innen.
Die Sea-Watch 4 ist dabei nicht nur ein Symbol gegen die Abschottungspolitik Europas, sondern steht für eine Zivilgesellschaft, die nicht mehr länger tatenlos zusieht, wie diese unmenschliche und rassistische Politik in ihrem Namen geschieht. “Mit der Kriminalisierung der Sea-Watch 4 kriminalisiert die italienische Regierung nicht nur die Retter, sondern auch die über 600 Partner, die unser Bündnis zur zivilen Seenotrettung unterstützen. Kirchen, Schulen, Kultureinrichtungen, Unternehmen und ehrenamtliche Initiativen: Wir stehen gemeinsam hinter der Sea-Watch 4”, so Sandra Bils vom Bündnis United4Rescue.
FAQs zur Festsetzung der Sea-Watch 4
Wie kam es zur Festsetzung?
Während des ersten Einsatzes im August war die Sea-Watch 4 von den verantwortlichen Behörden angewiesen worden, Rettungsaktionen zu unterstützen. Anschließend wartete die Sea-Watch 4 mit 353 Menschen an Bord tagelang auf die Zuweisung eines sicheren Hafens. Anfang September wurde Palermo zugewiesen. Am 2. September wurden die Geretteten dort an ein Quarantäneschiff übergeben. Die Crew der Sea-Watch 4 ging anschließend für zwei Wochen in Quarantäne. Nach Ende der Quarantäne führten die italienischen Behörden am 19.9.2020 eine Hafenstaatskontrolle („port safety control“) durch. Dabei wurde angeblich 22 technische Mängel festgestellt und das Schiff daraufhin festgesetzt.
Warum sind die Begründungen fadenscheinig?
Im Rahmen der Kontrolle suchten italienische Inspekteure elf Stunden lang nach Beanstandungen, aufgrund derer sie die Sea-Watch 4 dann festsetzten. Der Hauptvorwurf lautet, die Rettung von Menschenleben entspreche nicht der Registrierung des Schiffes. Die Sea-Watch 4 habe zu viele Rettungswesten an Bord, das Abwassersystem sei nicht für die Anzahl der geretteten Personen ausgelegt. Dass Seenotrettung als akute Nothilfe für alle Schiffe verpflichtend ist, wird außer Acht gelassen. Tatsächlich erfüllt das Schiff alle Sicherheitsvorgaben des deutschen Flaggenstaates, wie die deutschen Behörden Sea-Watch erst im Juli bestätigt haben.
Ist die Blockade der Sea-Watch 4 Teil einer größeren Strategie?
Nachdem bereits unter anderem die Sea-Watch 3 und die Alan Kurdi nach fragwürdigen Hafenstaatskontrollen blockiert wurden, ist die Sea-Watch 4 das fünfte zivile Rettungsschiff, welches an der Rückkehr in den Einsatz gehindert wird. Diese Inspektionen sind politisch motiviert und dienen allein dem Zweck, Rettungsoperationen zu verhindern. Europäische Staaten scheinen vor nichts zurückzuschrecken, um die Rettung von Menschenleben zu verhindern. Diese Politik kostet Menschenleben.
Was fordert denn United4Rescue genau?
United4Rescue fordert die sofortige Freilassung unseres Bündnisschiffes. Darüberhinaus sagen wir: Alle Menschen, die auf ihrem Weg über das Mittelmeer ertrinken, haben Schutz und eine menschenwürdige Zukunft für sich und ihre Familien gesucht. Verfolgung, Krieg, Armut, Unrecht und Klimawandel haben sie dazu gebracht, ihre Heimat zu verlassen.
Solange die Fluchtursachen nicht wirksam bekämpft werden und staatliche Seenotrettung fehlt, ist sie unsere humanitäre Pflicht. Unser Bündnis vertritt deshalb diese vier Forderungen:
I. Pflicht zur Seenotrettung: Die Pflicht zur Seenotrettung ist Völkerrecht und das Recht auf Leben nicht verhandelbar. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten müssen dies auf dem Mittelmeer gewährleisten.
II. Keine Kriminalisierung: Die zivile Seenotrettung darf nicht länger kriminalisiert oder behindert werden.
III. Faire Asylverfahren: Bootsflüchtlinge müssen an einen sicheren Ort gebracht werden, wo sie Zugang zu einem fairen Asylverfahren haben. Dazu haben sich die europäischen Staaten verpflichtet. Das Non-Refoulement-Gebot ist zwingendes Völkerrecht: Menschen dürfen nicht zurück in Länder gebracht werden, wo ihnen Gefahr droht und sie rechtlos sind.
IV ‚Sichere Häfen‘ ermöglichen: Städte und Kommunen, die zusätzliche Schutzsuchende aufnehmen möchten, sollen diese Möglichkeit erhalten.