… zur Wanderung >>Grenzüberschreitender Widerstand<<
08.10.2020
Für die ersten von uns ging es schon um 07:37 Uhr vom Greifswalder Hauptbahnhof los. Im eiskalten IC fuhr die Hälfte der Gruppe bis nach Berlin Gesundbrunnen, dort stieg die Gruppen (um eins gewachsen) um. Bereits eine Station später war die Gruppe vollständig. Die Reise wurde fortgesetzt in Richtung Pirna. Die Fahrtzeit ging schnell vorbei durch Wizzard, eine gemeinsam geschriebene Geschichte und sehr lustige Sitznachbarn.
„Ich hab zwar keene Uhr um, aber schaffen wa nochn Sektchen?“
Pirna begrüßt uns mit verschlossenen Türen und einigen Nazi-Stickern (die wir sofort entfernten und durch andere ersetzten). Als Zeitvertreib gingen wir zum nahegelegenen See, überlegten von einem Kind den Ball zum Volleyballspielen auszuleihen und sammelten ein paar Kronkorken. Um genau 16 Uhr hat die Jugendherberge geöffnet. Die Zimmer wurden bezogen und es ging wieder zurück in die Innenstadt von Pirna – ein bisschen die Stadt erkunden.
Pirna besitzt unzählige Treppenstufen, ein Rathaus, ein Schokoladenlädchen, eine Kirche, ein Napoleon-Schild, einen Spaghettibaum, Gespensterdächer und Schaufenster voller Sprüche.
09.10.2020
Nach einem fast hygiene-konformen Frühstück sind wir per Bus bis kurz vor Hohnstein gefahren – und das Dank Gästekarte quasi umsonst… also kostenlos. Von der Hocksteinschänke begannen wir einen kaum merklichen Aufstieg zum Hockstein und waren relativ überrascht, als wir vom Gipfel schon auf Hohnstein blickten. Über die Wolfsschlucht (sie war sehr beeindruckend), ging es ins Tal, um dann den etwas deutlich wahrnehmbareren Aufstieg nach Hohnstein zu beginnen. Der Ort bot relativ diesig-feuchtes Wetter, einen großartigen Spielplatz mit halsbrecherisch – angsteinflößender Rutsche und heiße Schokolade.
Um 13 Uhr trafen wir Steffen vom AKUBIZ, der uns nun einiges zur Jugendburg Hohnstein zu erzählen hatte: und dafür sind wir sehr dankbar, denn allein hätten wir kaum erahnen können, welch dunkle Geschichte die heutige Jugendherberge hat.
Relativ früh wurde sie immer mal wieder als Gefängnis genutzt, bevor Konrad Hahnewald sie zu einer Jugendherberge machte und internationale Gäste (bspw. aus Indien) empfing. Nach der Machtübernahme der Nazis war es damit sehr schnell vorbei. Bereits drei Tage nach der Reichstagswahl im März ´33 forderten SA-Männer die Burg und das Hissen der Hakenkreuzflagge. Da Hahnewald dies mehrmals ablehnte, wurde er verhaftet und somit zum ersten Gefangenen des jetzt entstehenden KZ-Hohnsteins. In den nächsten Jahren wurden hier 5.500 (vorallem politische Gegner_innen) Menschen eingesperrt. Die Häftlinge wurden unter den Augen der Hohnsteiner_innen am Marktplatz abgeladen und wurden (während der Aufnahme) immer wieder durch SA-Angehörige schikaniert. Einige Häftlinge stürzten sich, um zu entkommen, über die Burgmauer in den Tod. Zwei kleine, sehr unauffällige Gedenktafeln versuchen heute daran zu erinnern. Alle anderen Tafeln, die es mal gab, wurden leider entfernt und Jahre später in einem kleinen, dunklen, fast immer abgeschlossenen Raum gesammelt. Außerdem mussten die Häftlinge in verschiedenen Arbeitskommandos Arbeiten wie die Umgestaltung einer geplanten, aber nie genutzten Rennstrecke. Einige Wenige hatten das Glück nach solchen Arbeitseinsätzen fliehen zu können – so bspw. Anton Jäger und Alfred Zeisler… Von ihnen werden wir sicherlich morgen noch mehr hören, denn sie sprachen im Prager Rundfunk über die Haftbedingungen in Hohnstein. Im Juni ´34 wurde die SA von der SS abgelöst, die im August das KZ aufflösten. Alle Insassen mussten unterschreiben, dass ihnen während der Haft nichts wiederfahren sei, sie jetzt überzeugt hinter Hitler stehen würden, mussten die Haftzeit selbst bezahlen und wurden angewiesen sich bei einer Polizeistation in ihrem Heimatort zu melden.
Bevor es ab 1949 zu den Hohnstein-Prozessen kam, wurden bereits 1935 24 SA-Männer für Folter an Häftlingen verurteilt.. sie alle wurden jedoch nach Prozessende von Hitler begnadigt.
In den 90er Jahren wurden dann sogar noch zwei Hohnsteiner der damaligen Lagerkommandatur unter Applaus der Anwesenden rehabilitiert, da damalige Verurteilungen als Kollektivstrafen verhangen wurden.
Alfred Möbius (*26.10.1907)
Er war aktiver Bergsteiger und MItglied der „Naturfreunde“. Nach einer Haft im Konzentrationslager Hohnstein emigrierte er 1935 in die Tschechoslowakische Republik. Nach Flucht und Widerstand in Griechenland wurder er in Skopje/Jugoslawien unter falschen Anschuldigungen am 10. März 1945 von Partisanen erschossen.
Gerhard Schubert (*14.09.1887)
Er war Mitglied der SPD und arbeitete als Lehrer in Lohmen. Wegen seiner politischen Überzeugung und seinem Engagement gegen den Faschismus wurde er schon am 17. März 1933 verhaftet und in das KZ Hohnstein gebracht. Nur wenige Tage überstand er die Marter durch die SA_Leute und verstarb am 28.März 1933 in Gefangenschaft.
10.10.2020
Wieder um 08.30 Uhr gab es Frühstück und dieses Mal sogar mit einer netten Küchenfrau. Um kurz nach 10 Uhr ging es zu Fuß in das Stadtzentrum. Von dort aus weiter mit dem Zug nach Alternberg ins Erzgebirge. Am Bahnhof wurden wir gleich von Steffen in Empfang genommen und sofort wieder verlassen 🙂 Schon nach 400m haben wir ihn wieder gesehen und haben unsere Wanderung gestartet. Die Wanderwege im Erzgebirge sind übrigens ganz anders angelegt als in der sächsischen Schweiz. So ungefähr sah es aus:
Unser Ausflug ging heute nach Altenberg um auf alten Schmugglerwegen zu wandern. Es wurden dort Briefe, Literatur und auch Menschen über die tschechischslowakisch-deutsche Grenze gebracht. Mit dem Hochmoor, dem Kahleberg und dem schwarzen Teich besuchten wir ehemalige Ablage- und Übergabeorte. Mit dem Aufsteig auf den Kahleberg haben wir an diesem Tag den höchsten Berg des Erzgebirges erklommen. (Auch wenn wir nur ca 450 Höhenmeter überwinden mussten). Oben auf dem Gipfel hatten wir uns alle eine heiße Schokoladen verdient. Kurz bevor wir oben ankamen fing es an zu regnen und alle holten ihre Regenhosen raus – weiter ging es mit dem Wandern. Auch wenn uns vorher gesagt wurde, dass es in Altenberg schon deutlich kälter wird als in Prina, waren nicht alle von uns gut darauf vorbereitet und haben ein bisschen gefroren.
Bei unserem Abstieg haben wir uns besonders mit Max Niklas, Walter Richter, Artur Tiermann und Johannes Müller* beschäftigt. Diese vier waren am 04. Juli 1935 in der Schneise 31 um Literatur zu schmuggeln. Dort gerieten sie in einen Hinterhalt der Gestapo, weil ihr Kontaktmann als V-Mann arbeitete. Alle bis auf Johannes Müller wurden erschossen und zur Erinnerung an diese steht aus der Schneise 31 dieses Mahnmal:
Als wir um kurz vor 18 Uhr mit der Wanderung fertig waren, machten wir uns auf den Weg zum Bahnhof. Die Zugfahrt ging ein wenig über eine Stunde bis wir freudig wieder in Pirna ankamen. Zum Essen waren wir heute im Platzhirsch und waren wirklich alle sehr begeistert. Es gab großartige (sozusagen mega convincing) Milchshakes, Burger, Süßkartoffelpommes, Limonaden und Pfannencookie. Wir alle waren danach total satt und zufrieden. Angekommen in der Jugendherberge (auch wenn es schon ziemlich spät war) haben wir noch den angefangenen Film von gestern fertig geschaut. Der Film „Knives out“ war sehr mitfiebernd. Danach ging es halb tot ins Bett.
11.10.2020
Heute etwas früher als sonst aber trotzdem so circa 08.30 Uhr Frühstück und ausreichend Essen einpacken, da wir den ganzen Tag bis 19 Uhr im Zug sitzen würden. Bei schönem Wetter mit strahlender Sonne verabschiedete sich der nun uns sehr bekannte Weg zum Bahnhof. Von dort aus machten wir uns auf den Weg zur K2 – Kulturkiste. Dort begrüßt uns Steffen mithilfe einer Präsentation über die Euthanasie im in Pirna ansässigen Sonnenstein und weiteren fünf Orten in ganz Deutschland. Sonnenstein wurde als moderne Pflege- und Heilanstalt gegründet, welche sich im späteren Verlauf des Nationalsozialismus zu einer Euthanasie-Stätte entwickelte. In dieser wurden im Laufe der Zeit ca. 14.000 Menschen mit vermeintlicher Behinderung umgebracht. Nun gingen wir zusammen zum Ort des Verbrechens und heutiger Gedenkstätte. Dabei fielen uns viele bunter Kreuze aus, die unseren Weg begleiteten. Steffen erklärte uns, dass jedes dieser Kreuze für einen ermordeten Menschen in Sonnenstein steht. Leider berücksichtigen die Kreuze nicht die über 1.000 ermordeten Jüd_innen. Oben angekommen zeigte uns Steffen die symbolisch angemalten Bäume, die die Flächer einer gefundenen 30 cm dicken Ascheschicht darstellen. Auf dem Rückweg zum AKUBIZ machte er noch auf die Besonderheiten der Stadt aufmerksam.
Nachdem wir uns schlussendlich noch verabschiedeten und Sticker, Luftballons und Comics mitnahmen, machten wir uns gemeinsam auf den Weg zum Bahnhof. Bis oben hin mit Wissen gefüllt, setzten wir uns in den Zug um 12:04 Uhr und machten uns auf den Weg nach Greifswald. Auf der ereignislosen Zugfahrt, die dafür aber umso mehr Babybels und Camembert enthielt, lauschten wir unseren mehr oder weniger leisen Mitfahrer_innen.
*Johannes Müller (*14.07.1912)